Im Gespräch mit …
… Anthropologin Dr.in Danila Mayer

Was bedeutet Integration für eine Anthropologin, die sich mit dem Thema Migration und Jugend gleichermaßen intensiv auseinandersetzt?
Für mich bedeutet Integration Öffnung. Nicht nur eine persönliche Öffnung und Bereitschaft der Auseinandersetzung, sondern auch eine gewisse Art einer gesetzlich abgesicherten Öffnung. Das „Wir und Sie“ zu durchkreuzen, sich auch hier zu öffnen, das bedeutet für mich Integration.

Sie nehmen an der Trainingswoche „Home away from home?“ zum Thema Integration durch junge Menschen teil. Was interessiert eine Forscherin an diesem Projekt?
Mich interessiert hier vor allem die europäische Ebene, die Vernetzung auf Länderbasis, as Zusammenkommen dieser vielen unterschiedlichen Leute – beim Training in Kroatien leben und arbeiten schließlich 35 Menschen für eine ganze Woche miteinander. Ich finde es spannend, wie sich der Ablauf gestaltet, wie nachhaltig die Gruppenbildungen sein werden, ob die unterschiedlichen Zugänge auf einen gemeinsamen Nenner kommen, ob die AktivistInnen, Forschenden und die freiwillig in Gemeinden Tätigen in Diskussion kommen, ob es zu politischen Stellungnahmen kommt oder praktische Ideen zur Umsetzung gelangen.
Was läuft ab unter diesen 35 Leuten in den sieben Tagen der Auseinandersetzung?
Das ist schon eine lange und intensive Zeit! Das ist wie ein kleines Forschungslabor, wo aber nicht nur die ForscherInnen sich den Prozess anschauen, sondern alle beteiligt sind, alle schauen sich an, das finde ich einfach wunderbar, alle haben die gleichen Bedingungen, müssen da sein, sich um das gemeinsame Essen kümmern, wie werden sie sich den Aufgaben stellen?

Das Thema Integration …
…begleitet mich sowieso schon mein Leben lang. Aufgrund meiner etwas unterschiedlichen Hautfarbe werde ich immer wieder damit konfrontiert, ob ich will oder nicht. Für mich bedeutet Integration die Öffnung der Gesellschaft, der gesamten Gesellschaft, das sind alle, die zum Beispiel in der österreichischen Gesellschaft leben, ob StaatsbürgerInnen, Touristen, Flüchtlinge, ob sie pendeln oder immer hier wohnen. Damit verbunden ist die Frage: wer öffnet sich wem, wie und wo grenzt man sich ab, welche Parameter sind wichtig, wie gruppiert man sich?
Während einige politisch aktiv oder religiös sind und Gleichgesinnte suchen, wollen sich viele einfach nur assimilieren, wollen sehen, wer sind die ÖsterreicherInnen eigentlich? Aber oft kommen sie dann nur zu denen, die auch „fremd“ sind hier, an die, die in einem einzigen Satz nicht mehr sagen können, woher sie kommen, weil damit so viele unterschiedliche Stationen verbunden sind, während andere wiederum voller Stolz, voll von Nationalstolz, ihren Ursprung betonen.
Diese unterschiedlichen Prozesse interessieren mich als Forscherin an Integration.

Das Projekt untersucht die Rolle von jungen Menschen, was verstehen Sie unter diesem Begriff der „Jugend“?
Jugend ist ein Begriff, der heute sehr weit gefasst sein muss, vielleicht von 10 oder 11 Jahren an bis ins 30. Lebensjahr ausgedehnt werden muss. Die Eingliederung von Jugendlichen läuft ja längst nicht mehr so wie früher, wo man mit Volljährigkeit, Berufsbeginn und Familiengründung als Erwachsener galt.
Heute arbeiten viele schon als Kinder, oder gründen sehr jung eine Familie, viele stehen nie in einem Berufsleben, während andere mit 35 beruflich nur auf prekäre Situationen treffen. In Wien kann man all diese verschiedenen Formen beobachten, ganz junge Menschen wollen in den Krieg ziehen oder kriegen Kinder, es gibt gesetzliche Vorgaben über Ausbildungszeiten, der individuell gewordene Einstieg ins Arbeitsleben – dass alles gleichzeitig zutrifft, um zum Erwachsenenalter zu gehören, ist selten geworden.
Erwachsenwerden ist also ein recht interessantes Konzept, muss eigentlich immer wieder neu definiert werden, je nach wissenschaftlichem Zugang, für Anthropologen wie mich in der Sozialwissenschaft im 21. Jahrhundert heißt das, je nach Gruppe, die man untersucht, müsste man das neu festlegen.

Gibt es Unterschiede für Integration zwischen Stadt und Land?
Auf jeden Fall. Eine Stadt ist immer anders, man lebt in einer Stadt ganz anders, vielleicht anonymer, vielgestaltiger, weniger verbindlich. Am Land gibt es eine viel stärkere Verflechtung der privaten Ebene, jeder kennt jeden, man kann nicht so leicht aus. In der Stadt kannst du dir vielleicht besser aussuchen, wohin du gehören willst, was du tust, am Land wirst du damit einfach konfrontiert.
Das erinnert mich an einen Spruch eines Anthropologen-Kollegen: „When in Rome, do as the Romans – but who are the Romans?“

Haben Sie zum Abschluss unseres Gesprächs einen Rat für die Teilnehmenden der Trainingswoche „Home away from home“?
Ich denke, es ist wichtig, alles zu hinterfragen. Nicht alles für bare Münze zu nehmen, was man so hört. Offen zu sein und sich bereit zu halten, das ist ja auch das Motto der sogenannten Aktionsforschung, um die es hier im Projekt jetzt geht.

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Im Juni 2018

Im Gespräch mit …
… Kulturvermittlerin Lenka Thüringer, ehrenamtliche Mitarbeiterin bei The World of NGOs

Sie stammen aus Tschechien, leben seit vielen Jahren in Österreich. Fühlen Sie sich als Migrantin?
Ich fühle mich überall fremd. In Tschechien habe ich nur meine Kindheit verbracht, seitdem bin ich unterwegs, war in Deutschland, Afrika, Österreich. Das Gefühl einer Heimat habe ich nie gehabt. Ich weiß nicht, wie sich Heimat anfühlt.

Sie arbeiten in einem regionalen Museum, das österreichische Geschichte veranschaulicht. Was macht das mit Ihnen – hat das Einfluss auf Ihr Gefühl oder Verständnis gegenüber Österreich?
Darüber habe ich schon oft nachgedacht. Ich mache zum Beispiel jetzt Führungen in Schloss Hof „Auf den Spuren von Prinz Eugen“, Führungen für Kinder und Erwachsene aus der Slowakei. Dafür habe ich natürlich viele Bücher gelesen, mit Archäologen gesprochen, mich gut informiert. Bei den Schlossführungen ist mir dann aufgefallen, dass Leute aus dem Ausland von Prinz Eurgen noch nie etwas gehört haben, selbst wenn es nur einige Kilometer über die Grenze ist, wo er sein Sommerschloss hatte! Maria Theresia kennen sie alle, aber Prinz Eugen nicht. Da wird für mich sichtbar, wie national geprägt unsere Geschichte doch eigentlich ist, was wir lernen in der Schule, was wichtig ist. Ich selber habe durch diese Lektüre mein eigenes Heimatland viel besser zu verstehen gelernt und auch natürlich Österreich.

Fühlen Sie sich „integriert“?
Ich kann mich sehr schnell anpassen, das war und ist für mich essentiell, sonst wirst du zur Minderheit, du musst begreifen, wie die jenige Welt tickt, in der du nun lebst, im Beruf und privat, die musst du akzeptieren, das ist meine Beobachtung. Da kannst du die anderen nicht zwingen, dass sie von dir annehmen, also schottest du dich entweder ab oder du kämpfst dagegen an. Oder du passt dich an.

Das Thema Integration …
... besteht für mich aus ein paar Regeln und Kultur. Durch Arbeit kann man sich schneller integrieren. Es ist doch so: Auswandern in ein fremdes Land – das ist nicht für jeden etwas. Viele schaffen das nicht, die Anpassung erfordert Reduzierung des Egos, das ist nicht für jeden leicht. Aber es kommt auch auf das Land an, ob man zum Beispiel nach Afrika geht und ums Überleben kämpft oder im sogenannten reichen Westen in Demokratien lebt, wo es wie „glatt gestreichelt“ ist. Jedenfalls braucht man bestimmte Fähigkeiten fürs echte Auswandern und Integrieren, das machen nur Menschen, die persönliche Stärke haben, die finden schnell heraus, was sie dafür tun müssen, um sich wunderbar zu integrieren. Pure Not ist da natürlich etwas anderes, das ist keine freie Entscheidung mehr, wenn du musst, weil du sonst umgebracht wirst, oder weil du nichts mehr zu essen hast, dann ist das natürlich nicht mehr eine freiwillige und bewusste Entscheidung.

Sie sind Kulturvermittlerin in Schloss Hof in Niederösterreich, engagieren sich aber auch ehrenamtlich zum Thema Integration bei The World of NGOs?
Ja, Schloss Hof gehört zum Schloss Schönbrunn und der Hofburg, gemeinsam mit Schloss Niederweiden, das ist ganz in der Näher hier. Ein Museumsbesuch kann zwar ein besseres Verständnis für die Vorstellung liefern über das Land, aber das muss jemand wollen, wer sich nur fürs Überleben interessiert, will essen, wohnen und schlafen, interessiert sich nicht für Kultur, das dauert Jahre, wie auch für das Verständnis der unterschiedlichen Arbeitsmoral oder Verkehrsregeln eines Landes oder wie man mit Nachbarn umgehrt, denn jede Stadt tickt anders, jedes Dorf.
In meinen Führungen zeige ich einerseits die Prunkräume und Privatwohnungen von Prinz Eugen und Maria Theresia, wie haben die Menschen gelebt im Barock, wie sind sie umgegangen mit Krankheiten oder Müllentsorgung. Im Vorjahr war das Thema Reformen und Kriege, in diesem Jahr geht es um den Alltag. Und es gibt eine Sonderausstellung zum Thema Ernährung – warum isst die Welt, wie sie isst? 

Und mein Freiwilligen-Engagement für The World of NGOs besteht schon seit vielen Jahren, ob das nun zum Thema Kampf gegen Menschenhandel oder Euroskeptizismus ist oder eben wie jetzt zurzeit das Thema Integration, das sind immer spannende Themen für die Zivilgesellschaft und ich engagiere mich dafür sehr gerne. Ich lerne viel dabei und kann auch meine Meinung immer einbringen, ich spüre, dass meine Meinung geschätzt wird, das tut mir gut.

Haben Sie zum Abschluss unseres Gesprächs einen Rat für Menschen, die sich freiwillig zum Thema Jugend und Integration engagieren wollen?
Wir haben in Schloss Hof zurzeit eine außergewöhnlich begabte junge Frau namens Dorota Vargova, die Geschichte studiert und die sich nach langer Wartezeit einen Traum erfüllt hat und gerade eine eigene kleine Ausstellung zum Thema „Mein Europa der Freiheit" im Schloss Niederweiden auf die Beine stellt. Ich finde das wunderbar und denke, wer freiwillig das Thema Jugend und Integration unterstützen will, sollte dieses Projekt von Dorota Vargova unterstützen.
Hier der link zum Ausstellungsort: www.schlosshof.at/der-standort/schloss-niederweiden, dort wird auch ihre Ausstellung gezeigt. 

Herzlichen Dank für das interessante Gespräch!

Im Juni 2018